Das go drag! festival 2022 feiert weibliche, non-binäre und trans Drag-Künstler*innen
Von Sascha Krieger
Drag ist eine emanzipatorische Kunstform. Das Aufbrechen von Geschlechterrollen und -identitäten, das freie Spiel mit Binaritäten waren und sind subversive Akte in einer Gesellschaft, in der „Normalität“ noch immer kein Unwort ist, in der jede Abweichung von hierarchisch festgelegten „Normen“ zu Diskriminierung, Ausgrenzung, Gewalt führen kann. Drag Art ist deshalb auch untrebnnbar mit dem Kampf um queere Rechte und Sichtbarkeit verbunden, ein Symbol der Befreiung, der Selbstermächtigung, der Erlangung der Hoheit über das eigene Narrativ. Dass Drag heute näher am Mainstream ist als jemals zu vor, dass sich damit etwa Quote machen und Hallen füllen lassen, mag manche*r Puristin als Ausverkauf werten – es zeigt, aber auch, dass der Kampf um Anerkennung durchaus Fortschritte gemacht hat. Dass er angesichts eines auch hierzulande zu beobachtenden Rollbacks, immer selbstbewussterer Queerfeindlichkeit und einer deutlichen Zunahme von Angriffen auf als queer gelesene menschen so notwendig ist wie vielleicht lange nicht, ist ebenfalls Teil der Wahrheit.

Da kommt das zweite go drag! festival – das erste liegt bereits 20 jahre zurück – gerade recht. Denn es zeigt, dass auch Drag und seine Popularität vom patriarchalen System, gegen dass sie sich wehren wollen, nicht unberührt ist. Denn wer an Drag denkt, sieht „Männer im Fummel vor sicht“. Die Drag Queen, dargestellt von einem (meist cis) Mann ist nach wie vor die Regel und dominiert die öffentliche Wahrnehmung, in den populären Ausformungen der Kunstform, etwa einschlägigen Fernsehshows, dominiert sie fast ausnahmslos. Drag als Befreiung des queeren Mannes ist aber eben auch exklusiv, kratzt nur oberflächlich a Patriarchat, macht unsichtbar, was in diese verschobene „Norm“ nicht passt.
Dem wollen die Berliner Drag-Performance-Legende Bridge Markland – Initiatorin schon von go drag! 2002 – und ihre Mitstreiter*innen entgegentreten. Deshalb feiert das Festival gezielt weibliche, non-binäre und trans Performer*innen, die Unsichtbaren, unsichtbar Gemachten hinter dem Drag-„Trend“. Mit Workshops, Performances, Vorträgen, Diskussionen, Ausstellungen, Filmen und Parties will go drag! nicht nur Unsichtbares sichtbar machen, es will ermutigen, empowern, ins Gespräch kommen. Und darüber reden und zeigen, dass Normen immer das Problem sind, egal wie „inklusiv“ sie sich gerieren.
Eine Veranstaltung am Eröffnungswochenende können dafür exemplarisch stehen. Am Samstagnachmittag bat Markland selbst in die ufafabrik. Unter dem Titel queens + kings boten sie und vier „Gests“ Kurzperformances, die immer wieder die Willkör und Fluidität von Rollenzuschreibungen thematisierten. Bezeichnend Marklands eigene Nummer gleich zu Beginn: Als „Karl aus Spandau“ begrüßt sie das Publikum, doch es brauch eine graduelle Verwandlung aus dem einengenden Anzug heraus in Kleid und Perücke, bevor sie die am Boden liegende Zigarette erreichen kann. Der Ausbruch aus dem Patriarchat als Moment der befreiung. Drunter machen sie und ihre Kolleg*innen es nicht. Eindringlich die Performance der israelischen Künstler*in Buba Sababa, die ein männlich schwules Coming-Out darstellt, ein doppelter Emanipationsakt, berührend und pathetisch Alexander Cameltoes Ode an die Validität aller Gefühle zu Freddie Mercurys „The Great Pretender“, verstörend Very Confuseds Abschütteln falscher und künstlicher Gesichter, die sie zuvor im Wortsinn umschlossen hatten.
High Heels und Stiefel, Dildos und phallische Symbole, Stripping bis zur (partiellen) Nacktheit sind in fast allen Nummern wiederkehrende Motive. Das ist äußerst unterhaltsam, oft virtuos und häufig hoch komisch, aber sich auch immer seiner subversiven Natur bewusst. Es fordert heraus, ironisiert und benutzt patriarchale Narrative zu ihrer Dekonstruktion. Wenn Buba Sababa die Freiheit verheißenden Stiefel anprobiert, in ihnen gehen lernt, sie aber aus Angst gleich wieder versteckt, dann gesellen sich Wut und Tränen zum befreienden Gelächter. Denn das, was hier passiert, ist für viele queere Personen bis heute Traum, das „du kannst alles erreichen, wenn du dich nur traust“, das auch einschlägige Shows gern verbreiten, zu oft zynischer Hohn. Die Befreiung bleibt fragil, punktuell, immer in Gefahr. Und so ist dieser Nachmittag mindestens doppelbödig: beste Unterhaltung, aber auch Mahnung, nicht innezuhalten.
go drag! 2022 läuft noch an verschiedenen Orten in Berlin bis 9. Oktober 2022. Alles über das Festival unter godrag.de.