Dienst nach Vorschrift

Musikfest Berlin 2022 – Franz Welser-Möst dirigiert The Cleveland Orchestra mit Werken von Rihm und Schubert

Von Sascha Krieger

Welch ein Kontrast: Wo Klaus Mäkelä beim Eröffmnugskonzert am Schluss wie ein Leistungssportler schwitzte, wo Yannick Nézét-Séguin vor zwei Tagen enthusiastisch zu seinen Solist*innen lief, um ihnen zu danken, hat Franz Welser-Möst nicht mehr zu bieten als einen großzügigen Fingerzeig, wo beim Ganzspiel des Philadephia Orchestra insgesamt drei Zugaben zu hören waren, gönnen die Kolleg*innen aus Cleveland der zugegeben recht spärlich besetzten Philharmonie keine einzige. Das passt zu diesem Abend, an dem die Zaubertruhe musikalischer Magie, welche die beiden anderen Maestri zumindest zu öffnen versuchten, geschlossen. Diesen Gastspiel klingt nach Dienst nach Vorschrift, nach technisch sauberem Handwerk ohne Risiko, aber eben auch ohne Glanz, ohne Offenbarung, ohne Neugier.

Franz Welser-Möst dirigiert The Cleveland Orchestra in der Philharmonie Berlin (Bild: Roger Mastroianni / The Cleveland Orchestra)

Das beginnt vor der Pause mit einem nicht einmal halbstündigen Block der Stücke 2 und 3 aus Wolfgang Rihms Verwandlung-Reihe. Der österreischische Dirigent ist sichtlich bemüht, höchstmögliche Präzision walten zu lassen. Sorgfältig reiht er die Klangschichten auf, erlaubt im eröffnenden Stück Nummer 3 ein wenig farbliche Transparenz hier, etwas verlorenes Klagen der Solobläser dort und achtet ansonsten darauf, die musikalische Ordner möglichst kontrolliert vorzuführen, wie in einem Schaukabinett hinter Glas. Das ist auch in Verwandlung 2 der Fall, in der nach einem ruhigen Beginn mehr Unruhe herrscht, aber nie irgendeine Besorgnis, da könnte irgendwo ein Abgrund aufbrechen. Die Einzelstimmen dürfen kurz an die Oberfläche, um dann wieder abzutauchen, die Vielstimmigkeit kreist um eine sichere Mitte, vor der sich das Geschehen nie zu weit entfernt. Aufwallungen und Vereinzelungen bleiben in einem eng begrenzten Raum, jenseits dessen sich nichts öffnet. Die Türen musikalischer Entdeckung bleiben fest geschlossen, das Rihmsche Konzept der organischen Verwandlung, der fließenden Entwicklung wird säuberlich geordnet vorgestellt, aber diese Musik darf nicht atmen, sie ist ein Museumstück, glatt poliert und sicher verwahrt. Eine Musikstunde, kein Versuch, diese Werke irgendwie zum Leben zu erwecken.

Das ist auch nach der Pause der Fall, in Franz Schuberts C-Dur-Sinfonie D 944, die der Komponist selbst als „Große“ bezeichnet. Groß ist hier wenig. Schon die einleitende Hornmelodie setzt den Ton: Statt den Klangraum zu öffnen, in dem sich das Schubertsche sinfonische Universum in den nächsten mehr als 50 minuten bewegen wird, klingt sie trocken wie ein Verwaltungsakt. Die Holzbläser tönen schlank, klar und glanzlos, die dynamischen Kontrasten wirken wie auch einer Tafel aufgemalt, präzise und wie eine Übungsstunde nach Lehrbuch. Da ist keine Leichtigkeit, eine kantige strenge, die Bemühen verrät, abgezirkeltes Nachspielen der Partitur, aber kein hörbares Interesse an diesen musikalischen Welten. Statt Kraftentfaltung gibt es wuchtiges Muskelspiel. Oberflächlich, seelenlos.

Das gilt für den Kopfsatz wie für alle folgenden. Das Holzbläserthema, das große Teile des Andante erfüllt, klingt klar und sauber, aber es bleibt zweidimensional, sucht sich keinen Raum, wirkt vollkommen ambitionslos. Mitunter dürfen die Streicher andeuten, dass sie auch Zartheit können, Zwischentöne, Sanglichkeit, doch schnell wird es wieder bleischwer, kantig, muss sich die Schubertsche Symphonik in ein enges Korsett zwängen lassen. Nach einer schier unendlichen Generalpause ein kurzer Moment der Hoffnung, sacht samtig singende Celli, ein wenig Fließen, doch die Zügel bleiben fest angezogen, erst recht im Scherzo. Da donnern die Pauken, versucht Welser-Möst, aus dem späten Schubert einen späten Beethoven zu machen und findet doch nur Pseudo-Dramatik. Das magische Trio-Thema versinkt bleischwer im Klang-Morast, die Holzbläser schleppen sich schweren Fußes dahin, hier strebt nichts in die Weite, hebt nichts ab, hier ist alles erhabener Ernst und Bedeutungsbehauptung. Der Beethovensche Bläserklang wird imitiert und bleibt im Orchesterkaraoke stecken.

Weitgehend blutleer auch das Finale. Ein bisschen darf das zweite Thema dahin fließen, etwas Schwung wird erlaubt, ein wenig Zug ist im Allegro. Doch alles bleibt in geordneter Bahn, das Klangbild gefällt sich satt und museal, die bleiern schwere Strenge kehrt zum Ende zurück. Da atmet nicht, das greift nichts Raum. Franz Welser-Möst lässt sein Orchester diese wunderbare Sinfonie herunterspulen in blanker Routine, ohne erkennenswertes Interesse an dieser Musik. Ein Konzert so inspiriert wie ein Tag im Büro.

1 Kommentar

  1. Schlatz sagt:

    Habe auch immer so meine Problemchen, wenn der Österreicher am Pult steht. Hatte immer den Eindruck, dass er mit den Wienern glücklicher agieren kann

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