Friedrich Schiller: Maria Stuart, Deutsches Theater, Berlin (Regie: Anne Lenk)
Von Sascha Krieger
Natürlich fällt es nicht leicht, diese Inszenierung zu rezensieren, als wäre sie ein ganz „normaler“ Theaterabend. Zum Zeitpunkt ihrer Premiere ist bereits klar, dass auf dieser wie auf allen anderen Bühnen des Landes mindestens vier Wochen lang nichts mehr gehen wird. Nach der dritten Aufführung sind die Lichter aus – wann die Bretter wieder zur Welt werden, lässt sich kaum vorhersehen. Da passt es, dass diese letzten gut zwei Stunden eine Übung in Isolation sind. Judith Oswalds Bühne ist eine Art Setzkasten, bestehend aus Boxen, in denen die Figuren – mit zwei Ausnahmen – stets für sich sind. Sie interagieren getrennt durch Wände, die sie immer wieder berühren, wie sehnend nach der Präsenz einer*s anderen. Doch sie bleiben getrennt, isoliert, gefangen in ihren persönlichen Gefängnissen. Ganz unten ist Maria, die Gefängniszelle eng und undurchdringlich, über ihr, in der größten Box, Elisabeth, die Herrschende, Entscheidende, ebenso isoliert und ausweglos. Um sie herum gruppieren sich die Männer, behende die Boxen wechselnd, was den Frauen nicht vergönnt ist. Wo letztere an ihren Plätzen und in ihren Rollen verharren müssen, dürfen erstere diese wechseln. It’s a man’s world.

Und ein Rollenspiel. Gesten uns Posen sind die Waffen, die ihnen bleiben, wo Interaktion und Dialog so eingeschränkt sind. Ein Spiel, das die Frauen mitspielen. Vor allem Franziska Machens als Maria Stuart ist eine Meisterin der mimisch.gestischen Übertreibung, die Zeichen einsetzt mit einer Zielsicherheit, welche die Herrenriege wiederholt irritiert. Und die zu spät merkt, wie egal der kollektiven maskulinen Ego-Maschhine ist, dass sie deren Mechaniken eins zu eins zu kopieren weiß. Julia Windischbauers Elisabeth tut sich da schwerer, Ihre eigene Stimme zu finden, resultiert oft in linkischen Posing-Versuchen, die so hilflos ausfallen, dass es zuwilen zu berühren weiß. Das Gegockel können die Herren besser – und kosten es aus.
Großartig Jeremy Mockridges pubertär übergriffiger Mortimer in seinem mit großem „M“ verzierten Privilegierten-Highschool-Jäckchen – die Szene, in der er in Marias Zelle eindringt und aus dem Befreiungsschur eine bedrohliche Besitzfantasie wird, ist eine der erschreckenderen des Abends – zwischen aasig und cholerisch changierend das Toxische-Männlichkeitsklischee von Enno Trebs‘ Burleigh, windelweich rückgratlos der passiv-aggressive Narzssmus von Alexander Khuons Leicester. Wer nicht spielen kann oder will, fällt raus: Paul Grills Paulet vergräbt sich so sehr in seiner ernsten Würde, dass er zuletzt als erntzunehmender Handlungspartner ebenso verschwindet wie Jörg Pose als stocksteifer Shrewsbury, während Caner Sunar als Davison mit herzergreifender Tollpatschigkeit zeigt, was passiert, wenn jeman das Spiel der Macht nicht beherrscht.
Denn am Ende ist alles Show. Also wird gespielt und getan, als ob, dass es eine Lust ist. Marias erster Auftritt ist voll verzogener Mundwinkel, ein Ironiefest, das den Ton setzt für das Um-die-Wette-Spielen der Hogfgesellschaft. Und das ihr am Ende das genick bricht. Denn wer mitmacht, ohne mitspielen zu dürfen, erhält am Ende die Quittung. Ihr Kniefall ist so sehr Pose, dass er ihr Todesurteil besiegelt. Wie es geht, begreift Elisabeth besser. Erstaunlich ist der Weg von der Unbeholfenheit, der hölzernen zwischen Feindseligkeit, Selbstmitleid und Gewissen changierenden Unsicherheit ihrer Begegnung mit Maria und der fein durchchoregrafierten spielerischen Leichtigkeit, mit der sie am Ende das Schuldzuweisungsspiel so meisterhaft beherrscht, dass selbst Burleigh bei seiner Verbannung nicht anders kann, als anerkennend zu lächeln. Und doch ist die Rollenverteilung klar.
Die Männer bestimmen die Spielregeln, die Frauen bleiben, wenn überhaupt, geduldet. Ein neuer Burleigh wird kommen, Elisabeth bleibt in ihrer Zelle gefangen. Ihre pinkfarbene Box unterscheidet sich von der Marias nur durch die Größe, ihr Handeln, ihre Bewegungsfreiheit einschränkend und bestimmend sind sie beide. Da hilft nur eins: die Show weitergehen zu lassen, die Regeln zu verstehen und sich an sie zu halten. Die linkische Elisabeth, Meisterin des sich selbst Verbergens (ihr erster Auftritt ist in einer Riesenmaske des eigenen Gesichts – Maria findet die ihre erst, als es längst zu spät ist), hat begriffen. Sie spielt am Schluss ihre Hand wie ein Poker-Profi – mit erkennbarer Lust an der Manipulation. Und wissend, dass sie es witerspielen muss, weil kein Triumph von Dauer ist. Sie lernt die Kunst der Verkleidung, die Maria nie beherrscht. Die Kunst des Überlebens, wenn andere die Spielregeln aufstellen. Die Show muss weitergehen – hoffentlich auch bald hier.