Nach dem Roman Die Wand von Marlen Haushofer: Sophie Rois fährt gegen die Wand im Deutschen Theater, Deutsches Theater, Berlin (Regie: Clemens Maria Schönborn)
Von Sascha Krieger
Eine Frau findet sich in einer Berghütte wieder, durch eine Wand abgeschnitten vom Rest der Welt, der Familie, jeglicher Mitmenschen. Sie lernt, selbstbestimmt zu leben, autark, für sich, sich selbst – mit Hund und Kuh – die Welt zu sein. Zivilisationskritik unterstellte man Marlen Haushofers 1964 erschienenem Roman Die Wand sicher nicht zu unrecht – er ist aber, wie das schlanke Programmheftchen klar macht, auch eine Emanzoiationsgeschichte, die einer Frau, die zu sich, zu Frieden und Klarheit findet, weil und indem sie sich löst, von allem, was zuvor ihr Leben bestimmte, kontrollierte, einengte, Rollenerwartungen, gesellschaftlichen Zwängen, familiären Institutionen. Am Deutschen Theater ist Sophie Rois nun diese Namenlose – oder besser, sie liest und spielt und spricht sich hinein in sie. Zu Beginn steht das ein grauer Zweisitzer auf der Bühne, davor ein Kaffeetischchen mit zei Tassen. Rois kommt herein, setzt sich, trinkt, zündet sich eine Zigarette an und liest. Zunächst den Klappentext, dann Passagen aus dem Buch. Eine Annäherung, zunächst distanziert, etwas gelangweilt, wenig enthusiastisch.

Aber es ist ja Sophie Rois, die da sitzt, also spielt und schmeichelt und spricht und grantelt sie sich hinein in den Text. Wirft Lodenmantel und Rucksack über, ballert ein paarmal mit der Flinte herum und erklimmt dann, nun ja, keinen Berg, sondern ein riesiges Stück Erdbeertorte, das Clemens Maria Schönborn, Regisseur und Bühnenbildner, irgendwann von der Decke herunterfahren lässt. Warum? Keine Ahnung, aber schön sieht es aus, wenn das Buttercrèmemonster zum Berggipfel wird oder zur Jägerhütte, in der Rois zuweilen verschwindet. Vielleicht steht es für die Zivilisation, die die Protagonistin hinter sich lässt – oder dann doch eben nicht. Denn emanzipiert wird hier wenig, zu gewiss und selbstsicher agiert Rois, zu sehr ist der Ritt durch den Lebens-Neustart der Frau ohne Namen ein Ausprobieren von Tonlagen und Spielhaltungen. Da ist Slapstick und Farce, Pathos und stiller Ernst, schnoddrige Ironisierung, affirmativen Auftrumpfen, alles schön verteilt, passend zur gerade gesprochenen Textpassage und rasch ineinander umschlagend. Hier tastet sich niemand herein in existenzielle Zweifel oder gar Krisen, in eine vollkommene Hinterfragung des eigenen Lebens, der Vorstellung von Existenz, von Ich, von Gesellschaft, Familie und allem anderen – hier schaut eine von draußen drauf, spielt mit Modi des Repräsentierens, nimmt den Roman und dessen Fragen als Bühne, interessiert sich für die Mechaniken des Spiels, nicht für den Kern der Vorlage.
Es ist ein ironischer Ansatz, der zu Rois‘ stets ein wenig spöttischem Tonfall passt. Sie spielt eine Frau, die eben nicht zweifelt, nicht verunsichert ist, die sich etwas verwundert dieser Geschichte nähert, die nicht die eigene ist, weil sie diese art Zweifel längt hinter sich gelassen hat. Für sie liegt die Emanzipation weit in der Vergangenheit, ist die Geschichte milde interessantes Forschungsmaterial. Sie verinnerlicht sich die Ablösungsprozesse der Heldin nicht, sie schaut, wohlwollend ironisch und ein wenig überheblich von außen auf sie, probiert sie im Spiel aus, teils aus Neugier, teil aus Langeweile und kann doch nie verhehlen, dass sie drübersteht. Das ist überaus unterhaltsam, eine Demonstration von Sophie Rois‘ schauspielerischer Virtuosität, eine Art Live-Showreel ihrer Fähigkeiten. Wenn sie ganz am Ende eine österreichische Fassung von Bob Dylans „Like a Rolling Stone“ herausrotzt und das Ende des abends mit den Worten „That’s all, folks“ verkündet, schmilzt eh auch der hartgesottenste Kritiker dahin. Zu sagen hat das wenig, die Geschichte einer Befreiung als längst obsolet geworden zu beschreiben, bringt eher wenig Erkenntnis. Schön anzusehen ist diese Schauspieltorte, aber Blendwerk. Zu verzehren ist sie nicht. Aber wenigstens hat sie ein Sahnehäubchen: Sophie Rois zuschauen zu dürfen, wenn sie tut, was sie tun, ist stets ein überaus üppiges Dessert, das man auch dann nicht bereut, wenn es schwer im Magen liegt. Und zumindest das tut es an diesem Abend nicht.