In sicherer Entfernung

Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott, Salzburger Festspiele / Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Thomas Ostermeier)

Von Sascha Krieger

Wer einen Wald auf die Bühne der Berliner Schaubühne stellt, weiß natürlich, welche assoziationen er bedient. Zu ikonisch ist das Birkenwäldchen aus Peter Steins legendärer Sommergäste-Inszenierung, zu unverbrüchlich verbunden mit der Geschichte nicht nur dieses Theaters, sondern der jüngeren deutschsprachigen Theaterhistorie überhaupt. Steins Nach-Nachfolger Thomas Ostermeier, einst an der DT-Baracke Protagonist eines kompromisslosen, den Finger in verdrängte Wunden einer sich als verlassen empfindenden jüngeren Generation legenden Gegenwartstheaters, später, zu Beginn seiner Schaubühnen-Zeit Vorreiter eines kalt-analytisch bürgerliche Befindlichkeiten sezierenden und dekonstruierenden Theaters, hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend zu einem Regisseur entwickelt, der textnahes, Schauspieler*innen-zentriertes lineares Erzähltheater anstrebt, eine heute doch eher konservativ erscheinende Ästhetik, die sich aber natürlich auch und gerade am Aufbruch der ersten Schaubühnen-Generation orientiert, ihre Leichtigkeit, ihre lichtdurchflutete Klarsicht aber nur selten erreicht.

Bild: Arno Declair

In Ödön von Horváths 1937 erschienener Faschismus-Analyse Jugend ohne Gott ist ohnehin nichts mehr licht. Seine Bestandsaufnahme einer Gesellschaft, die Unmenschlichkeit zur Normalität erhebt und eine junge Generation heranzieht, die diese von Beginn an verinnerlicht, verbreitet nur wenig Hoffnung. Und so ist Jan Pappelbaums Wald auch kahl, abgestorben, ein kaltes, menschenfeindliches Dickicht, aus dem sich gespensterhaft die abgerichteten Werkzeuge der „neuen Zeit“ herausschälen, wie sich Ostermeiers Inszenierung untot aus der Vergangenheit, aus der (kollektiven?) Erinnerung erhebt. Dabei steht zunächst ein Heutiger an der Rampe, Jörg Hartmann, in schwarzem T-Shirt, begrüßt freundlich das Publikum und erzählt dann mit leiser Stimme, warum er Adolf Hitler alles verdanke, Textgrundlage ist ein Leserbrief aus dem Jahr 1935. Wie der Faschismus, wie die Abkehr von jeglichen Werten die angebliche „Mitte der Gesellschaft“ erfasst, macht diese Einführung aus stillste und erschütterndste Weise klar. Und bleibt doch leider die einzige Vergegenwärtigung dieses Abends.

Denn wo Nurkan Erpulat am Gorki, wenn auch weniger geglückt, aber zumindest den Bogen ins Heute zu schlagen versucht, geht Ostermeier den entgegengesetzten Weg. Noch während Hartmann spricht, zieht sein Ensemble ihn um, verwandelt ihn in den skrupulös opportunistischen Lehrer der Vorlage, schafft Requisiten heran und lässt sie wieder verschwinden, Erinnerungsbilder einer längst vergangenen Zeit, von der sich der Zuschauer zunehmend fragt, welchen Bezug sie zu seiner Wirklichkeit aufweisen mag. Ein Traumspiel entspinnt sich, wie an unsichtbaren Fäden gezogen entstehen Szenen, Räume, Bilder und verschwinden wieder, die Lichtregie sorgt für fahl gespenstische Albtraumatmosphäre, die Darsteller*innen agieren wie Gersiterbilder, vor allem David Ruland als Jung-Nazi N und Moritz Gottwald als entmenschlichter Hobby-Mörder T, während Laurenz Laufenberg seinen zwischen intellektiueller Arroganz und Liebeszwängen hin- und hergerissenen Z etwas dreidimensionaler anlegen darf. Doch bleiben sie alle Spielmaterial, liegt der Fokus doch klar bei Hartmanns lehrerfigur. Die spielt er ruhig, zurückgenommen, würdevoll wie einen personifizierten, wenn auch sehr reservierten Gewissensbiss. Das Gewissen liegt hier klar auf der seite der Älteren, zu geckenhaft infantil ist Bernardo Arrias Porras‘ Möchtegern-Widerständler B, zu wenig zugehörig zum gesellschaftlichen Ganzen die klischeehaft dreckverschmiert dauernervöse Eva von Alina Stiegler.

Hartmanns Figur ist Erzähler, Erinnerer, Erlebnis-Auffrischer, aber nie Vergegenwärtiger. Er verortet das Geschehen im Vergangenen, Verdrängten, sich Emporträumenden. Der Abend legt präzise die Geschichte einer Verrohung und gleichzeitigen Gewissensemanzipation frei, beleuchtet die Entscheidungsmomente, in denen der oder die Einzelne sich positionieren muss, wechselt vom – mit Videoprojektion gespenstischer Gesichter in einer Welt, in der alles im Schatten geschieht, in der Ehrlichkeit tödlich ist, erhellten oder verdunkelten – Albtraum-Geisterwald in die fast dokumentarische Strenge einer Gerichtsverhandlung, breitet den Text klar sichtbar auf, aber macht ihn nicht lebendig. Dieses Erzähltheater ist so distanziert wie leblos, es spricht, aber es spricht nicht zu uns, es doziert, aber es macht nicht spür- oder greifbar. Die Geschichte bleibt – wie auch der im hinteren Bühnenbereich angesiedelte tote Wald – in sicherer Entfernung, sie tritt nicht in den Fratzen von AfD oder Pegida ans Publikum heran, sie bleibt Lehrstunde und ist eben nicht Alarmsignal. Angesichts dessen, was vor der Tür im Lande passiert, eine erstaunliche Entscheidung.

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