Stuhltanz ums Böse

Nach dem Roman von Albert Camus: Die Pest, Deutsches Theater (Box), Berlin (Regie: András Dömötör)

Von Sascha Krieger

In Albert Camus‘ Roman Die Pest breitet sich die längst überwunden geglaubte Seuche in einer algerischen Stadt aus. Zunächst negiert, bald unaufhaltsam, tödlich, alles verschlingend. In Sigi Colpes Bühnenbild in der Box, der kleinsten Spielstätte des Deutschen Theaters, sind es schwarze Fetzen verbrannten Papiers, die sich über, auf, in alles legen, verkrallen, sich überall festsetzen. Diese Pest ist keine bakterielle Krankheit, sondern eine geistige, gesellschaftliche. Das ist bei Camus bekanntlich angelegt, für den es hier um den Kampf gegen das Böse ging, der Feldzug des Doktor Rieux gegen die teufliche Krankheit wurde denn auch oft genug mit der Résistance, dem französischen Widerstand gegen die Nazis verglichen. So stellt auch Regisseur András Dömötör, ein oppsitionell der antidemokratischen Tendenz in seinem Heimatland Ungarn gegenüberstehend, den Widerständler Tarrou besonders prominent heraus. Im widmet er einen langen Monolog über die Pest, die in uns allen ist, die wir alle sind, die Gewalt und Tod als Mittel politischer Auseinandersetzung, gar gesellschaftlichen Fortschritts begreifen, die glauben, töten zu dürfen, wo sie bessern wollen.

Bild: Arno Declair

Dabei sitzt Božidar Kocevski, der den Abend im Alleingang bestreitet,  auf einem Stuhl vorn an der Rampe, außerhalb des Rahmens, hinter dem sich bislang alles abspielte. Er ist der Wissende, der außerhalb des hilflosen Kampfes gegen das Unfassbare steht. Und auch wenn er wieder in den Rahmen zurückkehrt, dort selbst umkommt, ist er doch an diesem Abend die Antwort, nicht der einsame Streiter Rieux, der überlebt, aber drinnen verbleibt, in der Welt der Pest, der umgekippten Stühle, die reichlich plakativ für die Toten stehen. Das Wissen um die Absurdität der Welt, die gleichzeitige Notwendigkeit und Sinnlosigkeit sich gegen sie aufzulehnen, steht im Mittelpunkt von Camus‘ Schaffen und Weltsicht. In Dömötörs Bearbeitung schrumpft es zusammen zu einem Bekenntnis gegen die Todesstrafe, das Morden, die Kultur des Todes. Da scheint es leicht, aus dem Rahmen zu treten, da steht die Möglichkeit eines Auswegs im Raum. Das heißt, Camus‘ existenzialistische Philosophie, im Programmheft-Text in Auszügen nachvollziehbar, zu einem simplen humanistischen Creado zusammenschnurren zu lassen. Da ist die Regie gar nicht so weit weg vom Priester, für den die Pest eine Strafe Gottes ist. Nur halt ohne Gott.

Eine Auseinandersetzung mit dem ungreifbaren und doch nicht wegzuleugnenden Phänomen des Bösen, die der Roman vielleicht in erster Linie ist, findet in den gut 80 Minuten dieses Abends ohnehin nicht statt. Stattdessen erleben wir wenig mehr als eine szenische Lesung. Kocevski gibt den Erzähler und alle Figuren, fällt immer wieder in Re-enactments, behände zwischen den Stühlen und Sprechmodi wechselnd, eine Ein-Mann Sketch-Nummer, die wiederholt zu Gelächter führt, das sich unangenehm reibt mit der durch das inhumane Tropfen der Schläge von Lászlo Bakk-Dávids Klangraum erzeugten ausweglosen, in ihren besten Momenten an den räumlichen wie zeitlichen Stillstand bei Samuel Beckett erinnernden Atmosphäre. Kocevski erzählt die Geschichte herunter, mit reichlich Wandelbarkeit und ein bisschen leicht koketter Selbstironie, er verteilt die „Pest“-Fetzen oder steht in ihnen, wenn sie herabschneien, lässt kein schreckliches Detail aus und schafft es doch nicht, irgendwo einen Zugang zu schaffen. Es bleibt an diesem Abend die Geschichte einer Epidemie und des Kampfes gegen sie, eine Erzählung angedeuteter menschlicher Reaktionen auf eine existenzielle Krise, unkonfrontativ, lauwarm, homöopathisch.

Der Abend plätschert vor sich hin, bleibt auf der Stelle, wagt es nicht, irgendwohin abzubiegen. Nicht ins (wirklich) Politische, nicht ins Philosophische, schon gar nicht in einen Versuch der Vergegenwärtigung. Er wandelt zwischen Lesung und Comedy, zwischen albernem Rollenspiel und ersthaftem Re-enactment verschütteter Erinnerungen. Er bezieht keine Position, er tut nicht weh, er vermeidet jegliche Schärfe. Klar, Božidar Kocevski ist Profi genug, Langweile zu vermeiden und die Zuschauer*innen am Einschlummern zu hindern. Warum und wozu Camus‘ Roman hier auf der Bühne landet, vermag aber auch er nicht zu erhellen.

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