Molière: Amphitryon, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Herbert Fritsch)
Von Sascha Krieger
Sie trippeln und tänzeln wieder. Und hüpfen. Und grimassieren. Und fallen. Und gestikulieren wild, grotesk, überzogen. Herbert Fritschs Menagerie der aus der Welt gefallenen Menschenpuppen der Absurden ist zurück an der Schaubühne. Und sie hat nicht nur einen veritablem Klassiker im Gepäck, Molières Amphitryon, die Mutter aller Verwechslungskomödien (und damit so manchen missratenen Kindes), sondern auch einen echten (Theater-/Literatur-)Star: Joachim Meyerhoff ist neu im Ensemble – und gibt seinen Einstand ausgerechnet bei einem Regisseur, in dessen Arbeiten individuelle Virtuosität nur in den Grenzen seiner farcengeschulten clownesken Klamauk-Ästhetik gefragt ist. Um es vorwegzunehmen: Es ist ein grandioser Einsdtand. Und zwar weil Meyerhoff sich perfekt ins Ensemble einfügt und zugleich auf die richtige Weise heraussticht. Sein Diener Sosias verkörpert die Verlorenheit des seiner Identrität Beraubten auf eine so traurig-komische, von existenzieller Ratlosigkeit wie naiver Selbstsucht und intriganter Boshaftigkeit gesteuerte Weise, ein Schizophreniker der Ich-Besessenheit unserer Zeit, die die Austauschbarkeit des Individuum nicht vorsieht und zugleich ihrer bedarf. Und damit ist er ein kongenialer Partner von Fritsch-Dauerspieler Bastian Reiber, der den Sosias-Imitator Merkur mit rotzig dominanter Brutalität gibt, ein selbstbewusster Identitäts- und Machtspieler – mit Betonung auf „Spieler“ – dessen zwerchfellerschütternde Komik immer etwas Gewalttätiges hat und damit einen Abgrund hinter der Lustspielfassade spürbar macht, der ins Allgemeinmenschliche, ins Universelle, ins Existenzielle weist.

Womit wir beim Kern des Fritschschen Theater wären: Hinter all dem Klamauk – und das gilt gerade für seine vermeintlcihen Nonsens-Abende – lauert immer etwas Ernstes, Düsteres, Bedrohliches, sein Gealbere und seine Clownerien sind immer ein Tanz auf dem Vulkan. Oder zumindest gilt das für seine stärkeren Arbeiten. An diesem Abend deutet sich dierse Ebene zumindest an – im Spiel der beiden Sosias-Varianten, im Existenz-Duell der beiden so unterschiedlichen und doch irgendwie im selben Boot driftenden Spieler Meyerhoff und Reiber. Der sich am Ende, Merkur werdend, des aberwitzig monströsen orangefarbenen Puffärmel-Kostüms seines Widersachers entledigt und fast nackt da steht, selbst ein unbeschriebenes, weitgehend identitätsloses Blatt.
Doch es bleibt an diesem Abend leider bei diesen Andeutungen. Das Thema von Identitätsverwirrung und -verlust, ein in Zeiten von Social Media und dem ständigen Zwang zur Selbstrepräsentation kein ganz inaktuelles, tritt schnell in die zweite Reihe. Das ist legitim, schließlich steht hier Molière auf dem Zettel und nicht Kleist. Und so interessiert Fritsch diesmal eher das barocke Verwirrspiel, das er auf die ihm eigene Weise ästhetisch dekonstruiert und zugleich radikalisiert. Da ist jede Bewegung, jede Geste, jede mimische Äußerung ins groteske Extrem gesteigert, wie auch Victoria Behrs explodierte Barock-Irrsinnigkeiten, die hier die Kostüme ersetzen, diese Perücken-Puffärmel-Federbusch-Monstrositäten in schreienden Farben, deren Effekt irgendwo zwischen Lachkrampf und Würgereiz liegen. Fritsch nimmt, was er für die barocke Komödie hält und dreht die schraube einfach noch ein paar Umdrehungen weiter.
Das kann er tun, weil er auch die Spieler*innen dafür hat. Carol Schuler etwa als Sosias‘ Frau Cleanthis, einer grimassierendes Energiebündel fast feministisch zu nennender Wut, Axel Wandtke als mephistophelisch charmanter Jupiter oder Florian Anderer, dessen Nervenbündel-Titelfigur den Weg vom selbstsicher arroganten Herrscher-Abziehbild zur existenziellen Krise so weit zurücklegt, dass er weit über das Ziel hinausschießt – was ganz im Sinne seines Regisseurs sein sollte. Auch der zweite Fritsch-Neuling, Annika Meier als Alkmene, passt perfekt ins Ensemble, ihre unsicher verklemmte Zickigkeit entlarvt die Figur durchaus als der patriarchale Spielball, der sie ist. Und doch besteht der Abend darauf, dass sich solche Assoziationen, solche Angebote der Ernsthaftigkeit überlesen lassen. Er will als Farcenfest rezipiert werden und das gelingt trotz ein paar Längen durchaus fast durchgängig. Fritschs Körperchoreografien sind weniger strikt als sonst und lassen mehr individuelles Spiel zu, was sich immer wieder gut zusammenfügt, bietet doch die von einer Reihe knallbunter Stoffrahmen dominierte Bühne viel Gelegenheit für wunderbare Auf- und Abgänge, die sich zu ballettartigen Tableaux vivants formen und sofort wieder auflösen – und eine Bühne für die irrwitzigen Musicalnummern, die Fritsch – unterstützt von seinem Leib- und Magenmusiker Ingo Günther und der kongenialen Perkussionistin Taiko Saito, über den Abend streuen wie Parmesan über die gehaltvolle barocke Pasta dieser Inszenierung.
Ja, dieser Abend macht Spaß, auch weil er Assoziationen zulässt, weil er es den Zuschauer*innen erlaubt weiterzuspinnen, so sie dies denn wollen. Und weil er auch das Gegenteil ermöglicht, die oberflächliche Sicht, das Spiel mit den Äußerlichkeiten. Von der anfänglichen Pantomime lächerlicher Herrlichkeit bis zum hingerotzten Auflösungs-Schluss darf man hinter die Kulissen zu blicken versuchen – oder es lassen. Mit einem entscheidenden Unterschied zu den wirklich großen Arbeiten Herbert Fritschs: Dieser Abend ist sich selbst genug, er muss gar nichts anderes sein, als Barocktheater auf Speed. Und wer tiefer blicken will, bekommt zumeist nur seine eigenen Gedanken und Erwartungen gespiegelt. Dass hier ein Abgrund gähnen könnte, lässt sich zwar erahnen, mitinszeniert ist er im Gegensatz zu früheren Fritsch-Abenden aber nicht. Und so wirkt dieser Amphitryon nicht nur leichtfüßig sondern auch etwas leichtgewichtig. Das schadet ihm nicht und doch bleibt dieser Sehnsuchts-Rest, dass da doch ein bisschen mehr sein könnte.