Leistungsschau zum Auftakt

Christoph Eschenbach gibt seinen Einstand als Chefdirigent des Konzerthausorchesters Berlin mit Mahlers achter Sinfonie

Von Sascha Krieger

Wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, dass etwas kein Thema oder gar ein Problem sei, kann frau getrost davon ausgehen, dass das Gegenteil der Fall ist. Laut war nach der Entscheidung für den neuen Chefdirigenten des Konzerthausorchesters dessen Alter kommentiert worden. Und d tatsächlich gehören die Feierlichkeiten zu seinem 80. Geburtstag zu den Höhepunkten von Christoph Eschenbachs erster Spielzeit. Wenn nun die Redner*innen vor dem Saisoneröffnungskonzert, insbesondere Orchestervorstand Karoline Bestehorn und Kultursenator Klaus Lederer beinahe unisono abstreiten, dass man das Alter des Berufenen überhaupt thematisieren solle, zeigen sie vor allem eines: dass die ungewöhnliche Wahl Diskussionsstoff ist und bleiben wird. Während andere Orchester Chefs berufen, die sich (auch) für Größeres empfehlen wollen oder – wie im Fall Kirill Petrenkos, der in der vergangenen Woche endlich sein Amt bei den Berliner Philharmonikern antrat – eine lange künstlerische Beziehung anstreben, geht man im Konzerthaus einen anderen Weg. Hier, wo der mit 68 Jahren vergleichsweise jugendliche Iván Fischer, das Orchester revitalisiert hat, steht künftig ein Mann am Pult, der hier wohl seine letzte Station antritt. Einer, dessen zweifellos bedeutende Karriere weitgehend hinter ihm liegt, ein großer Name, den bekommen zu haben Lederer immer noch nicht recht glauben kann, aber eben einer auf der Zielgeraden seiner Laufbahn.

Christoph Eschenbach dirigiert das Konzerthausorchester Berlin beim Saisoneröffnungskonzert (Bild: martin Walz)

Wie um seinen Anspruch, hier noch richtig etwas reißen zu wollen, zu untermauern, setzt er ein Werk aufs Programm seines Antrittskonzert, das Petrenkos mit Beethovens Neunter zumindest, was das Ausmaß angeht, noch toppt: Gustav Mahlers achte Sinfonie, seine ob des Aufwands am seltensten gespielte. Hier muss sie her – als Statement, dass unter Eschenbach geklotzt wird und nicht gekleckert. Über 300 Mitwirkende, ein Riesenorchester, drei Chöre, acht Solist*innen, mehr passt auch kaum in einen Konzertsaal. Auch thematisch ist das werk wohlgewählt: der erste Teil ein Hymnus gerichtet an den Schöpfergeist, der zweite weltumfassend mit der Schlussszene aus Goethes Faust, dem zweiten Teil, versteht sich. Ein Werk, das eigentlich zu groß ist für diesen Saal und das Eschenbach doch passend macht, ein Zeichen, dass er sich mit seiner neuen musikalischen Heimat eingehend beschäftigt hat. Seine Mahler 8 ist immer groß, aber selten zu groß für die durchaus nicht immer perfekte Akustik dieses Konzertsaal-Kastens. Im ersten Teil versucht er es mit einer Parade der Klangfarben, lässt die Schichten wellenförmig in Vorder- und Hintergrund treten, schiebt die helleren Streicherklänge ins Zentrum und betont damit die Verbindungen zum folgenden zweiten Teil. Was zu einer Art Leitmotiv wird: Die motivischen Bezüge wird er im Faust-Satz bis zur Überdeutlichkeit herauskehren, die Fernbläser an den Satzenden sind vor allem für die im ersten Rang Mitte Sitzenden ein geradezu schmerzliches Verbindungselement.

Ansonsten fokussiert der erste Satz aufs Zusammenklingen, audf ein Spiel der Klangfarben, auch eine immer nach Mahler klingen sollende Gesamtheit. Im Innneren herrscht kontrollierte Unruhe, der Satzschluss tendiert zur strahlenden Übergröße, die Orchesterpassagen zur Vereinzelung – auch dies ein Vorgriff auf den zweiten Satz. Die relativ einfache Anschwellbewegung, die der Satz ist, bewältigen Orchester, Chöre und Dirigent solide, wobei vor zwei der Vokalensembles – der Tschechische Philharmonische Chor Brno und der Slowakische Philharmonische Chor – mit Kraft und Nuancenreichtum brillieren und das Publikum zuweilen daran erinnern, es mit einem religiös eingefärbten Hymnus zu tun zu haben, während Eschenbach und sein Orchester sich eher für klangliche Schönheit interessieren, die sie eher nicht in den Extremen suchen. So ist das klangbild moderat transparent, das Hörerlebnis meist angenehm, am Ende darf sogar ein bisschen überwältigt werden. Handwerklich ist das stark, interpretatorisch eher unambitioniert.

Das ist ism zweiten Teil nicht viel anders, auch wenn dieser viel weniger kompakt daherkommt, sondern eher als Nummernfolge komponiert ist. Was Eschenbach durchaus betont. Hier stehen zunächst Einzelklänge im Vordergrund, lässt er auch später einzelne Stimmen wie Highlights jeglichem musikalischen Fluss in die Parade fahren. Halbdunkle Streicherdecken suchen den „typischen“ Mahlerklang, die Anklänge an ältere Musiktraditionen, das Kippen ins mystisch-mysteriös Rätselhafte wird fein herausgearbeitet. Überhaupt ist das Klangbild oft transparent bis hinein ins Überdeutliche, was die Episodenhaftigkeit des Satzes noch unterstreicht. Die Solist*innen sind allesamt auf der Höhe, wobei Tenor Robert Dean Smith mit strahlender Wärme, Sopran Michaela Kaune mit klarer Klangfülle und innigem Ausdruck, Altistin Gerhild Romberger mit Mut zur Dramatik und Bass Mikhail Petrenko mit einem Hang zur Sprödigkeit besonders überzeugen. Die Erwachsenen-Chöre halten das Geschehen mit einem atemberaubenden Spektrum zwischen größter Kraftentfaltung und berührender Intimität zusammen, während die Knaben des Berliner Staats- und Domchors mit ihren hell schwebenden Stimmen für so manchen Kloß im Publikumshals sorgen.

Im Detail findet Eschenbach immer mal wieder spannende Lösungen – etwa in der stillen Passage vor der finalen Apotheose, in der er das musikalische Material regelrecht atomisiert. Hier blitzen Brüche auf, die sonst zumeist zugespachtelt werden. Am Ende versucht es Eschenbach nochmal mit den klanglichen Wellenbewegungen des Beginns, bevor er den Schluss zur Überwältigungsübung macht. Da kollidiert wie so oft in diesen ca. 80 Minuten die Nuanciertheit im Detail – selbst das finale Anziehen weist noch Bremsspuren auf – mit dem Willen zum perfekten Gesamtklang, rivalisieren moderne Partituranalyse mit dem Musikverständnis eines Herbert von Karajan, bekanntlich einer von Eschenbachs Mentoren. Und so bleibt am Ende weniger eine interessante Lesart als eine durchaus beeindruckende Leistungsschau, ein Statement, dass den Anspruch dieses Orchesters, weiter in der ersten Liga mitzuspielen, unterstreicht. Eines auf jeden Fall soll bleiben: Die Öffnung dieses Hause für alle, die Fischer so leidenschaftlich praktizierte. Und so gibt es am Sonntag noch einen Willkommenstag für Christoph Eschenbach. Mit viel Programm – unter anderem einer öffentlichen Brahms-Probe und einer Aufführung von Dvořáks Neunter – und all das bei freiem Eintritt. Bei aller Kontroverse: Christoph Eschenbach ist die gegenwart und nahe Zukunft dieses Orchesters. Willkommen, Maestro!

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