Im falschen Film

Jan Koslowski, Thilo Fischer: Die Alleinseglerin segelt allein!, Ballhaus Ost (Regie: Hannah Dörr und Jan Koslowski)

Von Sascha Krieger

Remakes sind ja bekanntlich – wieder? immer noch? jetzt erst recht? – in ModeWarum eine neue Idee suchen, wenn jemand schon mal eine gute hatte? Das Theater des aus dem Volksbühnen-Universum in Form von dessen Jugendtheater P14 stammenden Jan Koslowski war schon immer ein recyclendes, ein Vorlagen aufnehmendes und durch den theatralen und diskursiven Wolf drehendes. Das konnten überkommene Konzepte und Rituale von Erwachsenwerden oder Freundschaft sein oder – und nicht selten sowohl als auch – mediale, massenkulturelle Vorlagen, Vorgaben, Vorbilder. Sein gemeinsam mit Michel Decar entwickeltes Projekt Kevin allein im Universum ist ein gutes Beispiel. Auch jetzt, im Ballhaus Ost, macht er sich wieder an ein Remake. Oder besser gesagt, er behaltet die scheiternde Entstehung eines solchen. Bei der Vorlage handelt es sich um Die Alleinseglerin, einen in der Spätphase der DDR 1987 entstandenen Film des Coming-of-Age-Experten Hermann Zschoche über eine alleinerziehende Mutter, die ein marodes Segelboot erbt und sich zunehmend obsessiv in dessen Restauration verrennt, wobei ihr der Rest ihres Lebens entgleitet, eine durchaus ambivalente Emanzipationsgeschichte.

Bild: André Simonow

Eine junge Regisseurin, die alle Zschochi oder ähnlich nennen, und die vielleicht auch Zschoche ist, will den Film nun neu drehen. Dabei hat sie eine Produzentin – deren Darstellerin die zehn noch nicht erreicht haben dürfte, dafür ist der Darsteller des fünfjährigen Sohnes Mitte zwanzig – einen Regieassistenten namens Herr Hupe, den Brigitte Cuvelier mit stark französischem Akzent spielt, und eine Kamerafrau namens Nikita Ballhaus, deren Name auf den Spielort, aber auch in Richtung Fassbinder und dessen hier reichlich zitierte bewusste Pseudo-Amateur-Ästhetik verweist, mit dessen Stamm-Kameramann sie nicht nur den Namen, sondern auch die trockene Nonchalance und distanzierte Geduld teilt. Gespielt wird sie von P14-Stammspielerin Luna Zscharnt, während „Zschochi“ von Leonie Jenning dargestellt wird, P14-Alumna und wichtiger Teil des zukünftigen Volksbühnenteams des designierten Intendanten René Pollesch, der denn auch,. begleitet von seinen Mitstreiter*innen Kathrin angerer und Martin Wuttke, zur zweiten Vorstellung erscheint. Die Rolle des Pflegers, der laienhaft die Alleinseglerin spielt – die Film-Rolle übernahm damals mit Musikerin Christina Powileit ebenfalls eine nicht professionelle Schauspielerin – spielt mit Milan Herms, der zu Beginn einmal als „Claudia Cardinale des Ostens“ bezeichnet wird, ebenfalls ein Teil der aktuellen P14-Generation. Mehr (junge) Volksbühne war selten.

Das gilt auch für den Umgang mit dem Material, der irgendwo zwischen Polleschschem Dauerdiskurs, Castiorfschem Zitat-Chaos und Fritschschem-Klamauk – ein bisschen Marthalersche Pop- und Schlagerverliebtheit ist auch dabei – mäandert. Realistisch ist hier eh nichts. Die Bühne (Ausstattung: Wieland Schönfelder) ist ein wildes Mosaik aus billigen Kulissenteilen, ein bisschen Holz- , ein wenig Maueranmutung, ein paar Intérieurskizzen, dazu weitere Räume zweidimensional auf Schwarz-weiß-Fototapeten, das Boot eine Miniatur, der Spielstil irgendwo zwischen überzeichnetem Laientheater und grotesker Farce. Leonie Jennings Regisseurin ist eine ständig überforderte Cholerikerin, „Herr Hupe“ ein abgeklärter Pragmatiker, die Spielerinnen Egomanen unterschiedlicher narzisstischer Härtefallgrade. Die Videowand ist fast im Dauereinsatz, schließlich geht es hier um Film, also wird gefilmt. Zum metatheatralen Dauerfeuer tritt ein meta-filmisches und da wird es langsam für die Zuschauer*in anstrengend.

Denn auch thematisch und diskursiv wird hier behandelt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist: Frauenbilder und patriarchale Sichtweisen, die Rolle der Kunst und jene der Frau in der DDR, Film als Kommerz, Realismus auf Bühne und Leinwand, Familie und Beziehung, das Genieklischee des einsames „Künstlers“ und viele, vieles, ermüdend vieles mehr. Das macht Spaß anzusehen, weil sich die Spieler*innen mit uneitelster Lust in ihre Rollen, die Rollen, die diese spielen und jene, die wiederum diese übernehmen werfen, in vielschichtigen Identitätsverknotungen, die das vermeintlich reine Spiel so lange dekonstruieren, bis es wieder da ist. Damit es wieder in der Lächerlichkeit verschwindet. Was dabei untergeht, ist die Frage, wohin das will. Geht es um einen neuen Blick auf künstlerischen Freiraum und seine Fragilität in einer Zensurgesellschaft? Auf die Evolution und Stagnation von Frauenbildern? Oder ist das primär eine Film- und Theatersatire? Anstatt dass sich die unterschiedlichen Bruch- und Versatzstücke motivischer, thematischer und diskursiver Art gegenseitig befruchten, beißen sie einander in den Schwanz, wenn sie nicht gerade dabei sind, sich in einer Art Wettrennen um die Zuschauer*innen-Gunst gegenseitig aus der Kurve zu treten.

So steigert sich die wilde Spielschleife des Abends in einen immer irrwitzigeren Beliebigkeitsstrudel, werden Topoi wie Blicklenkung durch die Kamera und die damit verbundene Manipulation des Sehens dargestellter Welt in Gag-Gewittern ebenso verzwergt wie alles andere. Viel wird angesprochen – Ästhetisches, Politisches, Persönliches – und hektisch weggehechelt, weil immer die nächste Szene wartet, der nächste Effekt, die nächste Sensation. Da ist der Abend dann wieder ziemlich nah beim Film und seiner Industrie, zumindest deren stereotypischer Betrachtung, die dann im Gegensatz zu allem anderen tendenziell eher für bare Münze genommen wird. Das emanzipatorische Grundbild der Alleinseglerin ist da schon lange vergessen, alle anderen diskursiven Ansätze schlingern hilflos herum, bevor sie wie die Heldin des DEFA-Films auf einer Sandbank stranden, weil der gedankliche Ozean im Effekthagel längst ausgetrocknet ist – und nein, auch dieses Bild ist nicht schiefer als so manches an diesem Abend. Der unterhält, selten langweilt und ein wenig ratlos zurücklässt, nicht hinterlassen, woran sich die Zuschauer*in weiterdenkend abstoßen kann. Stattdessen jagt er so lange die Stöckchen, die er sich selbst zuwirft, bis ihm hechelnd die Puste ausgeht.

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