Dass Ei des Prometheus

Prometheus. Ein Projekt von Bastian Reiber, Schaubühne am Lehniner Platz (Studio), Berlin (Regie: Bastian Reiber)

Von Sascha Krieger

Eigentlich fühlt es sich fast an, als beschlösse die Schaubühne ihre Spielzeit mit einer weiteren Herbert-Fritsch-Premiere. Faktisch stimmt das natürlich nicht – der Name Fritsch ist unter den an der Inszenierung Beteiligten nirgendwo zu finden. Und ist doch nie weit, schließlich ist es nicht nur mit Bastian Reiber ein langjähriges Mitglied von Fritschs Kerntruppe, das hier sein Berliner Regiedebüt vorlegt, auch seine Mitspieler*innen Florian Anderer, Carol Schuler und Axel Wandtke gehören zum Stammpersonal des Österreichers. Und Reiber tut wenig, um die Gedanken an Fritsch zu zerstreuen. Das beginnt schon in der ersten Szene. Da steht Carol Schuler am Bühnenrand und deklamiert Aischylos. Sie atmet an, doch der Chor bleibt zunächst auf sie beschränkt. Als Reiber dann hinzutritt, wird es auch nicht besser: Er verpasst jeden Einsatz und scheint dem Text bislang auch nur im Vorübergehen begegnet zu sein. Da verpufft sich das weltbewegende Pathos schnell in komödiantischer Dekonstruktion. Der Prometheus-Mythos was schon in der Antike ein selbst für die Tragödie ungewöhnlicher, weitete er doch den Topos von der Unentrinnbarkeit des menschlichen Schicksals und die Ambivalenz von Schuld weit über die Menschenwelt hinaus aus. Beginnend mit der Renaissance wurde aus ihm dann zunehmend eine Art alternativer Schöpfungsmythos,, der Feuerbringer zum Ausgangspunkt eines vernunftbegabten, autonomen Menschengeschlechts. Das paradoxerweise in fast allen Reiterationen nicht als handelnder Agent auftaucht, sondern so passiv und gesteuert bleibt wie die Objekte jener anderen Schöpfungsgeschichte.

Bild: Thomas Aurin

Reiber entsorgt die Erhabenheit dieser Welterschaffungs- und -eroberungsvision schon mit dem Kollaps der hehren aischyleischen Worte. Wie Fritsch widmet er sich lieber dem Slapstick. Schuler und Florian Anderer, ausgestatten mit verbeulten Ganzkörperanzügen (Kostüme: Vanessa Rust) umspielen in der Folge ein lauschiges Holzhäuschen – die Menschheit (oder sind das noch die in der Antike überaus menschlichen Götter?) als tollpatschige Alltags(be)kämpfer*innen. Anderer stolpert und zuckt, Schuler grimassiert, die Körper sind sie ganz unter Kontrolle, das alltägliche wird zum grotesken Alltagskampf. Irgendwann entsteigt dem Backteig, den anderer knetet, ein Figürchen, dass sich sogleich zu Wagner-Klängen in einen erdbeschmierten Axel Wandtke verwandelt. Der erste Mensch oder nur ein neuer, moderner? Eine neue Entwicklungsstufe in jedem Fall, aber auch ein Fortschritt?

Er fängt an zu monologisieren, auch er hadert mit seinem Körper, identifiziert sich als Haarteil-tragender Tennis-Star André Agassi, der zu einer Hymne auf den Kollegen Roger Federer ansetzt und sich wundert, dass sie beide eine Spezies sein sollen. Irgendwann erscheint auf dem kleinen Fernseher inmitten der spießigen Holzhütte (Bühne: Marina Stefan) ein Video, in dem in 1980er-Anmutung Goethes Prometheus-Gedicht geschlachtet wird. Nein, die Geburt des modernen Vernunftmenschen, welche die Wandtke-Erschaffung andeuten mag, vollzieht sich hier nicht: Die beredte Lehm-Kreatur ist nur eine sich selbst bewusstere, narzisstischere Variante der halbbewussten, Handlungen – Schuler findet irgendwann einen Fächer und transformiert ih in wunderbarstem Slapstick in alle möglichen Zivilisationsgegenstände – wie Sprache – Anderer referiert seitenlang über Getreidearten – mechanisch durchexerzierenden Alltagsmenschen, die vom „Neuen“ nie abgelöst werden.

Das ist eine überaus ansehnliche Slapstickparade, die ein wenig lang gerät, in ihrer physisch radikalen Virtuosität zumindest handwerklich dem Vorbild Fritsch durchaus zur Ehre gereicht. Und Prometheus? Der tritt erst ganz am Ende auf. Reiber spielt in im weißen Tennis-Kleidchen, ein eitler, hohler Geck, der die flehende Menschheit hinhält und von ihr (!) an die Wand geklebt wird, wo er kein Feuer bringt sondern ein Ei legt, das die drei Menschwesen in riesenhafter Vergrößerung bewundernd wie hilflos anbeten. Statt der emanzipatorischen Kraft des Feuers bekommen sie ein in sich geschlossenes, vermeintlich undurchdringliches und sich selbst genügsames Objekt, das konsumiert verschwunden sein wird. Na, schönen Dank auch!

Bastian Reiber dekonstruiert die über Jahrhunderte überhöhte Heilsgeschichte mit sichtbarer Lust, die sein spielwütiges und risikofreudiges Ensemble teilt. Und rennt damit offene Türe ein. Die Goethesche Heroisierung des einsamen Helden, die Vergöttlichung des Menschen sind spätestens seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts bestenfalls suspekt, ihre Entsorgung längst geschehen. Doch Reiber fällt außer vielen sehr unterhaltsamen Regie- und Spielideen nichts ein, was an die Stelle der längst entschwundenen Mythisierung treten könnte. Wo Herbert Fritsch, Sinn, Bewegung, Sprache und menschliches Handeln oft so weit reduziert, dass eine Art existenzieller Kern spür- und sichtbar wird, klamaukt sein Musterschüler hier eher an der Oberfläche der von ihm mit derEnergie eines trotzigen Kindes zerschlagenen Geschichte herum. Die handwerklichen Kniffe sind alle da, der konzeptionelle Unterbau fehlt. So bleibt ein sehr amüsanter Erstling, ein gutgelaunter sommerlicher Spielzeitabschluss, der nicht mit allzu viel anschließender Denkleistung belastet. Ein leicht verdauliches Theatersoufflée, das schnell konsumiert sein will, bevor es in sich zusammenfällt.

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