Anatomie einer Katastrophe

FIND 2019 – The Town Hall Affair, The Wooster Group, New York (Regie: Elizabeth LeCompte)

Von Sascha Krieger

1971 fand in der New Yorker Town Hall ein denkwürdiger Abend statt. Der berühmte Schriftsteller Norman Mailer hatte gerade eine gesamte Ausgabe des Magazins Harper’s Bazaar mit einem Angriff auf den zeitgenössischen Feminismus vollgeschrieben, was, wie von ihm intendiert, reichlich wellen schlug. Irgendjemand hielt es dann für eine gute Idee, eine Podiumsdiskussion mit ihm und Feministinnen unterschiedlicher Couleur zu initiieren, die auch noch – „male privilege“ auf seinem Höhepunkt – von Mailer selbst moderiert werden sollte. Jill Johnston, Autorin der Village Voice und eine der Frauen, die sich, nach vielen Absagen, bereit erklärten mitzuwirken, zog später ein bitteres Fazit: „Dass die Veranstaltung überhaupt stattfand, war eine Katastrophe für Frauen“. Eine, die festgehalten wurde: Gegen den Willen der Veranstalter aber auf Einladung Mailers filmte D.A. Pennebaker den Abend, Aufnahmen, die erst 1979 auf Anregung und unter Mitwirkung seiner späteren Ehefrau, ihren wirkungsmächtigen Weg auf die Leinwand schafften. Town Bloody Hall heißt der Film, das Dokument einer Debatte, die in ihrer Intensität, Aggressivität, ihrem Witz, aber auch ihrer Brutalität bis heute fasziniert.

Bild: Steve Gunther

Fast 50 Jahre später hat sich die legendäre New Yorker Theatergruppe The Wooster Group Ereignis und Film angenommen. Eine Art Re-enactment: Die Beteiligten sitzen an Tischen, auf denen Mikrophone stehen, rechts befindet sich ein Rednerpult, hinten, wenn auch nur als Projektion, ein halb zugezogener roter Vorhang, Zitate des Bühnenaufbaus 1971. An einer Art Fahnenmast in der Bühnenmitte ist ein Fernseher befestigt, auf dem Szenen aus dem Film laufen, er taucht ein zweites Mal in der Vorhangprojektion auf. Der Abend beginnt mit Johnston, gespielt von Wooster-Group-Gründungsmitglied Kate Valk, ihre Rede probend. Die ersten Brüche entstehen, sacht wird das Re-enactment dekonstruiert, die Darstellung der Probe selbst zum Gegenstand der Betrachtung. Gleich zwei Mailers sitzen auf der Bühne, spielen sich die Bälle zu, sorgen für ein deutliches Übergeicht. Auch jede der Frauen gibt es doppelt: einmal auf der Bühne, einmal als „Original“ im Film. Mailer dagegen taucht viermal auf: Zu den beiden Bühnen-Darstellern und dem „echten“ im Film tritt noch der Darsteller des Films Maidstone, den Pennebaker im Vorjahr mit Mailer gedreht hatte. Szenen aus dem Film ersetzen zunehmend die Filmausschnitte auf dem projizierten Bildschirm, Szenen toxischer Maskulinität, die bald auch die beiden Mailer-Darsteller Ari Fliakos und Scott Shepherd nachspielen.

Sie verstärken die arrogante Brutalität, die heiße Verachtung, die egomanisch selbstverliebte Überhebung des Original-Mailers, karikieren und katalysieren eine Maskulinität, die heute noch lächerlicher wirkt als gestern und zugleich noch immer fasziniert. Lippensynchron sprechen die Darsteller*innen „ihre“ Reden nach, zuweilen überlagern sich Bühnen- und Originalton, die Debatte wird ins Heute gedoppelt, erreicht neue, gegenwärtige Körper (unter anderem Maura Tierney als Star-Feministin Germaine Greer), befragen den Wettstreit feministischer Konzepte – die Dekonstruktion des Genieas als männlicher Archetyp durch Grier, die Verteidigung der Biologie durch die Kritikerin Diana Trilling, Johnstons Deklaration des lesbischen Kerns jedes Feminismus und Jaqueline Ceballos‘ pragmatische Gleichstellungsideologie – nach ihrer Relevanz, stellen die Grabenkämpfe, pointiert durch Greers Aussage, unterdrückte Gruppen zeichneten sich dadurch aus, dass sie untereinander kämpften, aus und nach, wie eine Art Ideen-Karaoke, das sich nach und nach in Ratlosigkeit auflöst.

Regisseurin Elisabeth LeCompte, ebenfalls eine Wooster-Group-Gründerin, legt die Folien von Bühne und Film übereinander, um sie bald zu veschieben, einzureißen, wieder zusammenzustückeln. Dräuende Klavierklänge verzerren sich zu grollenden Störgeräuschen, die dem dokumentarischen Thema eine albtraumartige Atmosphäre verleichen. Vorder- und Hintergrund driften auseinander, Vorlage und Spiel, Realismus und Abstraktion. Die Spielszene verzerrt sich, die Tische werden verrückt, Pappkrönchen aufgesetzt, es wird gesungen, musiziert, am Ende gar geträumt. Die Vergangenheit will sich nicht greifen lassen, ihr ambitionierter Traum vom gesellschaftlichen Fortschritt erweist sich als Irrtum. Entstanden kurz vor dem Ausbruch der #MeToo-Bewegung mäandert der Feminismus in The Town Hall Affair am Rande der Rat- und Orientierungslosigkeit, sucht einen neuen Ausgangspunkt, fragt sich, warum er, obwohl so weit gekommen, gleichzeitig noch immer auf der Stelle tritt. Der Abend dekonstruiert die damaligen Debatten und setzt sie zugleich wieder zusammen, Mosaikstück für Mosaikstück, gibt ihnen ihre Relevanz zurück, schiebt sie ins heute und verklärt doch nicht ihre Ohnmacht.

Der polternde, beleidigende, machtausübende Mann ist Zerrbild, Karikatur, Witzfigur. Und doch auch Porträt anhaltender Machtverhältnisse, einer dem man zuschaut mit einer Mischung aus Ekel und Faszination, eine mächtiger Zepterschwinger, der die Diskurskontrolle noch immer in der Hand hat. Seine Dekonstruktion bringt die seiner Gegner*innen mit sich, am Ende bleiben Fragezeichen, ein abstrakt träumendes Driften im Nirgendwo, eine Auflösung des Dokumentartheater im visuellen Äquivalent der assoziativ elliptischen Prosa Jill Johnstons. Der Schlussakt gehört ihr oder eher Valk, nunmehr nur noch Projektion, Johnstons Wunschbild, zweidimensional ins Hier und Jetzt gebeamt, ratloser Ausbruch aus dem ewigen Diskurskreis, der stets an seinem Beginn anzukommen scheint. The Town Hall Affair klopft die Kämpfe und Debatten von einst ab auf ihre Bedeutung für die Gegenwart, bringt sie zurück ins Leben, auf die Bühne, in die Hirne und muss sie gleichzeitig auflösen in eine Frage, eine Suchbewegung, ein tasten nach einem neuen Anfang. Der Abend ist Erinnerung und Anstoß, Affirmation und verwerfen, Vergegenwärtigung und theatrale Dekonstruktion. Sperrig, frustrierend, abrupt endend. Er schlägt Türen zu (im Wortsinn), um neue zu öffnen, zeigt die Fähigkeit theatraler Mittel, hinter die Oberfläche zu gelangen, hinter die Inhalte, zum Kern dessen, was die Wirksamkeit solcher Diskurse bis heute ausbremst. Und kommt der Wirklichkeit und der Wirkung in selbige hinein dort am nächsten, wo er sich von ihr am weitesten zu entfernen scheint.

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