Sänfte, ruh!

Albert Serra: Liberté, Volksbühne Berlin (Regie: Albert Serra)

Von Sascha Krieger

Zu den wenigen Linien, die sich in Chris Dercons, formulieren wir es freundlich, schwierigem ersten Jahr als Intendant der Volksbühne, erkennen lassen, gehört der Versuch, Korrespondenzen, Dialoge, Interaktionen zwischen Theater und Bildender Kunst zu inspirieren. Vorläufiger Höhe- – für nicht wenige vor allem in der Berliner Theaterkritik – Tiefpunkt dieses Versuchs ist Liberté, die Arbeit eines Künstlers, der als Filmemacher in beiden Disziplinen Außenseiter ist. Serra, Spezialist für meditative Historienfilme, hypergenaue Portraits geschichtlicher Figuren, handlungsarm, atmospphärisch dicht und hochkünstlich, malt. Eine bevölkerte Landschaft im Rokostil, der Name Watteau findet sich in fast jeder Rezension des Abends wieder. Eine Wegkreuzung, ein paar kleine Erhöhungen, ein Teich, viel Grün, im Hintergrund eine bewaldete Landschaft: Das riesige Bühnenhalbrund öffnet sich zu einem brandenburgischen Idyll irgendwann im 18. Jahrhundert (Bühne: Sebastian Vogler). Ein Idyll in ewiger Dämmerung.   Licht fällt dorthin, wo es natürlich wäre: hier ein Mondstrahl, dort der Kerzenschein einer der vielen Sänftern, die bei Serra so etwas wie die Hauptfigur sind. Alles andere, oft auch die Darsteller*innen, liegt im Dunkeln. Zuweilen ein Sonnenaufgang, nicht mehr. Ein opulentes Illusionsbild, in dem man sich verlieren kann.

Bild: Román Yñan

Denn was Serra auf die Bühne wuchtet – ein besonderer Dank den Bühnenarbeit, die als zeitgenössisch gewandete Sänftenträger Schwerarbeit leisten – ist eine alternative Welt mit allen Details, seiner eigenen – sehr verlangsamten Zeit – einer spezifischen Realität. Albert ist Serra ist keiner, der Geschichte lebendig macht, sie nah heranholt (auch wenn in seinen Filmen Nahaufnahmen eine wesentliche Rolle spielen), sie in Dialog mit dem Heute bringt, sie vergegenwärtigt. Nein, er gibt ihr einen eigenen Raum, zu dem und in den wir treten können – oder auch nicht – und der unseren Blick spiegelt. Denn die Vergangenheit, die er zeigt, ist eine übermittelte, eine künstlerische. Wir sind eben nicht in der Realität des Rokoko, die wir nie fassen könnten, sondern in einem Bild von ihr, einem Bild, das die einzige Realität ist, in die sie sich zwängen lassen kann. Ein Bild, das lebendig wird. Aber eben nicht in einem Re-enactment, sondern in einer Materialisierung eben des Blickes, den das Bild und seine Rezeption in uns ausgelöst haben.

Und so ist die Welt, die Serra auf die Bühne bringt, eine immer schon künstliche, in der, wie er es im Programmzettel-Interview ausdrückt, „zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen (…) ein schmaler Grat“ liegt. „Ich weiß nicht, wonach wir suchen“, lautet einer der ersten Sätze des Abends, auch ein programmatischer. Unser Blick auf die Geschichte ist immer ein Versuch der Aneignung, des Verstehens aus unserer heutiger Weltsicht heraus, die wir absolut zu setzen tendieren. Serra hingegen betont die Fremdheit einer Welt, der zu nähern wir nicht vermögen, weil wir sie mit unserem Wertesystem, unserer (post)modernen Perspektive nicht zu fassen bekommen. Es ist ein Blick, der wie für das Theater gemacht ist, für dieses Theater. Die Dauertotale, in der die Figuren auf Distanz bleiben, sich der Blick des Zuschauers verliert, das Halbdunkel, das gleichzeitige An- und Abwesenheit ermöglicht. Und so wirkt vieles an diesem Abend wahnsinnig skurril: das ständige Hin- und Hertragen von Sänften, das ruhige, stets etwas monotone Sprechen, die Ernsthaftigkeit, mit der hier von Lust und Libertinage gesprochen wird, Hintern versohlt und Verführungen geplant werden.

Ach ja, die Libertinage. Um sie soll es ja gehen. Auf der Handlungsebene leitet eine vom französischen Hof verstoßene Herzogin, ehemalige Mätresse des Königs (Ingrid Caven), eine Mission zur Einführung der Libertinage im tugendhaften Preußen Friedrichs des Großen. Unterstützung bekommt sie dabei von einer Gräfin (Anne Tismer), die unter anderem eine Äbtissin (Jeannette Spassova) auf ihre Seite holen soll. Dann ist da noch der an Syphillis sterbende deutsche Alt-Libertin Duc de Walchen (Helmut Berger), der meist abseits in seiner nicht mehr verkehrstauglichen Sänfte dahin siecht. Man trägt die Sänften und ihre Inhalte hin und her und her und hin und nichts passiert. man reden und verhandelt und intrigiert und nichts passiert. Man verführt, hat Sex, legt den Nonnenhabit ab – und nichts passiert. Die Welt ist ein Nirgendwo, ein Nicht-Ort, ein ganz früher Vorläufer – oder späte Nachfahre – des Nichts, in dem einst Estragon und Vladimir auf Godot warteten – oder es dereinst tun. Ein Ort des Stillstands im Zwielicht, in ewiger Dämmerung.

Eine Geisterwelt. Denn diese Revolution, die nie vom Fleck kommt, wird bald hinweggespült von einer anderen, gewalttätigeren, ehrgeizigeren, die Freiheit, von der diese Rebellen in ihren gepuderten Perücken schwadronieren, bald ersetzt durch eine andere, größere, vielversprechendere, entsetzlichere. Eine sterbende Welt, die längst tot ist und so wohl nie lebte. Denn dies ist nur ein Traum, ein Albtraum für manchen Zuschauer auch, knapp zweieinhalb Stunden Stillstand und Geistertanz in Zeitlupe. Serra verlebendigt die Geschichte eben nicht, bei ihm ist und bleibt sie tot. Er malt ein Bild von ihr, unserem heutigen Blick auf sie, bei der alles Perspektive ist und nichts Realität. Da fällt auch so manchen aus dem Blickfeld: etwa die wirtschaftlich politische Ebene, die Serra einzieht. Wenn aus der sexuellen Freiheitsbewegung ein Geschäftsmodell wird, das vor Sklaverei und Menschenhandel nicht zurückschreckt, soll uns das etwas über die ambivalente Beziehung von Kapitalismus und Freiheit sagen, die einander bedingen und zugleich stets bekämpfen muss, und verpufft in einer einzigen hochgezogenen Augenbraue Cavens. Die im Übrigen ihr Talent in den Dienst der Sache stellt, sich zurücknimmt und doch stets exakt den richtigen Ton trifft, was im Übrigen auch für den würdevoll Sterbenden Helmut Bergers gilt – es sind gerade die Alten, die selbst längst Vergangenen, die in dieser verschwundenen Welt zuhause sind. Einzig Tismer fühlt sich spürbar unwohl in diesem darstellerischen Konzept und durchbricht die alles erfüllende Stille immer mal wieder mit einem etwas zu schrillen, zu individuellen Ton.

Was bleibt ist ein Landschaftsgemälde von faszinierender Seltsamkeit. Das Wasser plätschert, die Vögel singen, der Abend gleicht einer Beschwörung. Keiner Heraufbeschwörung einer vergangenen Zeit, nur eine ihres Schatten, ihres Bildes, unserer Idee von ihr. Die am Ende, da stirbt der Duc im göttlichen Licht, ins Absurde gleitet. Ingrid Caven singt, schäg, fremd, sakral, Licht flutet die künstliche Erde von der das Zuschauerauge fast erwartet, dass sie wie eine Halluzination plötzlich verschwunden ist. Der ohnehin leere Saal ist noch leerer geworden, ermüdet Wackere harren aus, der Applaus braucht lange, um aufzuwachen. wie auch das Publikum erwacht aus einer langen Meditation, einer Traumreise ins Gespensterland, das fremd bleibt, bleiben will und doch den, der in der Lage und willens ist, sich ihr hinzugeben, nicht unberührt zurücklässt. Ob der traurig Verlorenen, denen wir da begegnet sind und die wir oder Bilder von uns dereinst auch sein mögen. Die die Welt verändern wollten und nicht von der Stelle kamen. Weil die Welt sie nicht brauchte sich zu verändern? Vielleicht. Doch das ist eine Frage für ein anderes Metier.

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