Zur Auswahl des Theatertreffens 2018
Von Sascha Krieger
Was war das für ein Theatertreffen-Jahrgang 2017. Starke, richtungweisende Regiekonzepte, radikale Ästhetiken, Rahmen sprengende Erzählweisen, theatrale Grenzgänge und -erfahrungen. Eine Leistungsschau des deutschsprachigen Theaters ohne Scheuklappen, die nach vorne wies und in die Welt hinaus. Internationale Arbeiten waren dabei, große wie kleine Häuser, reihenweise Neulinge, ein atemberaubendes Spektrum theatraler Ausdrucksformen. Die Latte lag hoch für die diesjährige Jury. Würde sie dort anknüpfen, wohin sie das Theatertreffen, das in der Vergangenheit viel zu oft Nabelschau der großen Bühnen und Namen war, Hort des Staats- und Stadttheaters, Besitzstandswahrer der Subventionskönige? Nicht selten ist es im Leben so, dass auf zwei Schritte nach vorn einer zurück folgt, doch so brutal, wie die diesjährige Jury das Theatertreffen-Vehikel an die Wand fuhr, stockt dem eigentlich geneigten Beobachter der Atem. Wo ist der Geist des Aufbruchs, die Neugier, die Experimentierfreude, welche die letztjährige Auswahl auszeichnete?

Stattdessen ein Zehnerpack, dessen Eckdaten frösteln lassen. Berlin, Hamburg, München, Wien, Zürich: Die traditionellen Metropolen haben das Theatertreffen 2018 fest im Griff. Einzig Basel darf als Gast am Tisch der „Großen“ Platz nehmen. Damit nicht genug: Es sind ausschließlich die Flaggschiff-Häuser, die Theatertreffen-Einladungssammler, die sich im Mai präsentieren dürfen – keine der kleineren Bühnen und vor allem: keine einzige Produktion der freien Szene. Das deutschsprachige Theater besteht in der Auswahl dieser Jury aus den großen Bühnen der führenden Theaterstädte – alles andere findet nicht statt. Der Blick schrumpft wieder zusammen – von der Weltoffenheit des Vorjahres-Festivals ist nicht zu spüren – da ist Thomas Ostermeiers Theatertotalverweigerung Rückkehr nach Reims – dessen Wahl zumindest diesen Beobachter entsetzt hat – schon als internationales Feigenblatt diesen, schließlich hatte es seine Premiere beim Festival in Manchester. Neue Namen: Da ist Antú Romero Nunes, der seit Jahren an die Tür klopft und dessen Einladung lange überfällig war, und Anta Helena Recke, ein Sonderfall, von dem noch zu sprechen ist. Auch das einzige Manko des 2017er Jahrgangs, die weitgehende Abwesenheit weiblicher Theatermacherinnen, adressiert der diesjährige nicht: mit zwei Regisseurinnen (darunter Recke) und einer Co-Regisseurin liegt der Frauenanteil freundlich betrachtet bei 25 Prozent. Das ist haarscharf an der kompletten Blamage vorbei.
Und sonst: Es gibt den notwendigen Zeitbezug, etwas Rechtsextremismus, ein bisschen Trump, vor allem aber bekannte Namen, Veteranen des erzählstarken Regietheaters, aber kaum radikale Handschriften. Am ehesten ist eine solche noch bei Ulrich Rasche zu finden, ansonsten feiert selbst das unterambitionierte Schauspielsta-Theater in Form von Jan Bosses Die Welt im Rücken fröhliche Urständ. Vieles klingt nach Pflichtübung: Dass an Castorfs Faust keiner vorbei kam, ist folgerichtig, bei Vinge/Müllers Nationaltheater Reinickendorf ist der Geschmack schon schaler. Hier wird man das gefühl nicht los, dass der Abend eingeladen wurde, weil die beiden Extrem-Theatermacher*innen überhaupt mal wieder eine Arbeit abgeliefert haben. Dass sie um Längen schwächer war als frühere, stört da weniger. Das der neue Jelinek – mit Trump-Bezug! – dabei ist, mag künstlerisch zu rechtfertigen sein, wirkt aber eben auch nicht besonders originell. Man bleibt unter sich: die bewährten Regiekonzepte, die Großautor*innen, die Goldesel der Staats- und Stadttheater. Besitzstandswahrung als Festivalprogramm. Was nicht heiß, dass hier schlechtes Theater versammelt sei. Aber ein Signal geht von dieser Auswahl nicht aus, zumindest kein positives. Es scheint, als wäre die Jury ob der eigenen Courage erstarrt.
Da gebührt der einzige Lichtblick ausgerechnet einer Arbeit, die auf dem Papier das Gegenteil von kreativer und origineller Theaterkunst zu sein scheint: Anta Helena Reckes Mittelreich, ein Re-Enactment von Anna-Sophie Mahlers zum Theatertreffen 2016 eingeladener Inszenierung, in der Recke, damals Regieassistentin, alle Rollen mit schwarzen Schauspieler*innen besetzt hat. Ein ungewöhnlicher Blick auf rassistische Klischees und Rollenbilder, auch ein Kommentar auf ein weißes ethnozentrisches Theater, das nach wie vor vorherrscht. Ethisch, politisch und auch küntlerisch ein hochproblematisches Unterfangen, das genau deshalb seinen Platz beim Theatertreffen verdient hat. Eine Arbeit, die für Diskussionen sorgen wird in der ansonsten konsensverliebten Parade des Bewährten. Nach dem Paukenschlag 2017 ist das Theatertreffen in sein Schneckenhaus zurückgekrochen und droht, sich dort zu verschanzen. So reduziert es sich zum Kuschelklub der großen Namen – und schafft sich über kurz oder lang ab.
Die eingeladenen Inszenierungen im Überblick
Elfriede Jelinek: Am Königsweg / Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Regie: Falk Richter
Die Odyssee. Eine Irrfahrt nach Homer / Thalia Theater Hamburg, Regie: Antú Romero Nunes
Nach Thomas Melle: Die Welt im Rücken / Burgtheater, Wien, Regie: Jan Bosse
Von/nach Bertolt Brecht: Trommeln in der Nacht / Münchner Kammerspiele, Regie: Christopher Rüping
Georg Büchner: Woyzeck / Theater Basel, Regie: Ulrich Rasche
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