Iván Fischer dirigiert die Berliner Philharmoniker mit Werken von Enescu, Bartók und Mozart
Von Sascha Krieger
Es gibt Konzertabende, da steht der Höhepunkt gleich am Anfang und dauert gerade einmal acht Minuten. Und es gibt Konzerterlebnisse, da hat auch der erfahrenste Konzertgänger Schwierigkeiten, das, was er sieht, mit dem, was er hört, zusammenzubringen. Iván Fischers jüngsten Dirigat bei den Berliner Philharmonikern fällt in beide Kategorien. Das hat auch etwas mit dem Stück zu tun, das er an den Anfang stellt: das „Prélude à l’unisson“, der erste Satz von George Enescus Orchestersuite Nr. 1. Ein Werk mit stark reduziertem Klangapparat: Streicher (ohne Bässe) und eine Pauke in G ist alles, was Enescu braucht. Erstere spielen ausschließlich unisono, was den ganz besonderen Klang dieses Werks ausmacht. Den fängt Fischer auf beeindruckende weise ein: Wie ein einzelnes Instrument klingt das Orchester, die Klangfarbe ist einem Cello am ähnlichsten, kräftig, leicht abgedunkelt. Dazu lässt Fischer die Musiker klare melodische Linien zeichnen, schlicht und ohne jeden Schnörkel. So entspinnt sich ein feiner, beinahe nüchterner Gesang, der am Rande der Tonalität sehnt, sucht, klangt – unsentimental, aufs wesentliche reduziert. Dabei macht Fischer die Stille, in die sich dieses Singen legt, hörbar, interpretiert er das Stück als ein Ansingen gegen das Nichts. Eines, das zuweilen fast verschwindet, sich bricht, wenn die Pauke hinzutritt, und lange nachklingt, wenn die Stille siegt. Ein augen- und vor allem Ohrenöffner.

Gute Konzertabende sind mehr als Abfolgen musikalischer Nummer: Die besten haben eine eigene Dramaturgie, einen werkübergreifenden Spannungsbogen, sind mehr als die berühmte Summ ihrer Teile. Das ist auch hier so, zumindest vor der Pause. Fischer lässt das zweite Werk, Béla Bartók Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta Sz 106, direkt auf Enescus Stück folgen, getrennt nur durch einen kurzen Applaus. Und siehe da: Es erweist sich zunächst als Fortsetzung und Weiterführung des zuvor Gehörten. Der Beginn nimmt die Tonalität und Klangfarbe des ersten Stücks auf, dynamisch ein wenig reduziert und öffnet dann langsam und vorsichtig Schritt für schritt den Klangraum. Weitere Stimmen treten hinzu, eine nach der anderen, hellere, dunklere und so faltet sich sukzessive der Klangfächer auf, ganz organisch, vergleichbar vielleicht dem Öffnen einer Blüte. Fischer setzt auf höchste Transparenz, macht jedes Detail hörbar, jede Einzelstimme, Klangfarbe, dynamische Wendung und doch besteht nie die Gefahr der Vereinzelung. Aus Vielfalt entsteht Einheit, aber eine, die ihre unzähligen Farben und Schattierungen nie verbirgt, sondern aus ihnen ihre Kraft schöpft.
Besonders eindrucksvoll das Adagio, bei dem Fischer diese Bewegung exemplarisch vorführen lässt: Zunächst treiben einzelne musikalische Inseln im Klangozean, die sich langsam zusammenführen, was zu einer steten klanglichen Verdichtung führt, die stets fragil bleibt, ihr eigenes Verschwinden immer mitdenkt. Der Satz schwebt regelgerecht, getragen von hauchzarten, irisierenden Streicherflächen, die ein vielfarbigen Funkeln zulassen, aber nie ganz da zu sein scheinen. Werden und Verschwinden passieren gleichzeitig, sind eine Bewegung. Auch dieser Satz ist ein berührendes, faszinierendes musikalisches Erlebnis, das selten derart so klar und bewegend zugleich zum Klingen gebracht wird.Die Sätze zwei und vier gestalten die Gegenbewegung: Unruhig, sehr lebhaft, von einem treibenden Puls angetrieben kommen sie daher, sehr durchsichtig, die Kontraste in Tempi, Klangfarben, Dynamik und Ausdruck deutlich akzentuiert, doch organisch auseinander entstehend und miteinander verbunden. Das Finale hat eine zuweilen fast manisch wirkende Energie, kein harmloser Kehraus, sondern ein nervösen Pulsieren, das sein Ziel nicht kennt. Leben, das den Tod immer mit sich trägt, sich so wenig feiert wie ihn, doch beide anerkennt. Hier wird der Kreislauf des Lebens Musik.
Natürlich kann der zweite Teil des abends da nicht mithalten und versucht es auch gar nicht. Die Unmittelbarkeit der Werke aus dem zwanzigsten Jahrhundert kann der Mozart-Dreierpack, der nun auf dem Programm steht, natürlich nicht liefern. Zunächst erklingen zwei Arien, getragen vom kraftvollen, nuancenreichen und sehr variablen Sopran Christiane Kargs und begleitet von einem Orchester, das eine Nuance subtiler und weniger muskulös auftreten könnte. Danach erklingt die Symphonie Nr. 38, auch bekannt als die „Prager“, benannt nach dem Ort ihrer Uraufführung. Auch hier setzt Fischer auf das Spiel der Farben und findet den Kern des Werks in einem klanglichen Hell-Dunkel-Kontrast, der vor allem in den Ecksätzen deutlich wird. Aus diesem Kontrast baut sich die Klangwelt des Werks aus, er verleiht ihm seine Transparenz, Ausdrucksfülle und Lebendigkeit.
Auch hier akzentuiert Fischer Kontraste, was zu einem Eindruck von Vielfalt führt, der dem stark von Mozarts zur gleichen Zeit entstandenen Da-Ponte-Opern inspirierten Charakter der Symphonie entspricht. Energie und Gesang bilden ein weiteres untrennbares Gegensatzpaar, aus dem insbesondere die Sätze eins und drei ihre Kraft ziehen. Von wunderbarer Leichtigkeit ist der mittlere Satz, in den die Holzbläser immer wieder Licht pumpen und der die gleiche Vielfarbigkeit und Vielstimmigkeit aufweist wie seine schnelleren Pendants. Leicht und luftig seine Melodik, erdig sein Grundton. Aus einem Guss ist dieser Mozart und doch detailversessen und durchsichtig bis ins kleinste Detail. Und auch wenn er leichtgewichtiger wirkt als die Werke vor der Pause – insbesondere der Schluss ist dann doch ein bisschen zu unwidersprochen freudig – entspringt er dem gleichen musikalischen Universum. Es ist eines, in das man gern viel häufiger eintauchen möchte.
Ganz interessantes Konzert wie ich finde