Maschinerie der Verzweiflung

Dea Loher: Am Schwarzen See, Deutsches Theater Berlin (Regie: Andreas Kriegenburg)

Von Sascha Krieger

Dem Deutsches Theater wurde in den letzten Jahren des öfteren vorgeworfen, den Anschluss verpasst, die Führungsrolle in der Berliner Theaterlandschaft verloren zu haben, nur noch hinterherzulaufen, kein künstlerisches Profil zu haben, nicht mehr so richtig relevant zu sein. Fast scheint es, als setzte Intendant Ulrich Khuon in dieser Spielzeit alles daran, dies zu widerlegen. Zum Beispiel mit einem konsequent verfolgten Spielzeitmotto, das der Saison eine thematische Mitte gibt. Oder in dem sich das haus als Uraufführungstheater profiliert. Und dabei wird nicht gekleckert, sondern geklotzt: Mit Yasmina Reza war zunächst die derzeit wohl weltweit gefragteste Theaterautorin überhaupt an der Reihe, jetzt ist es Dea Loher, der diese Position im deutschsprachigen Raum wohl nur noch Roland Schimmelpfennig und Elfriede Jelinek streitig machen können. Am Schwarzen See ist Andreas Kriegenburgs zwölfte Uraufführung eines ihrer Stücke, die zweite am DT (nach Diebe), die dritte die hier im Repertoire ist (Das letzte Feuer hatten Khuon und Kriegenburg aus Hamburg mitgebracht). Beide Inszenierungen sind auch gute Referenzpunkte, um sich anzusehen, wie ein Loher-Abend funktionieren kann und wo seine Fallstricke liegen. Leider hat Am Schwarzen See nicht nur inhaltlich mehr mit Das letzte Feuer als mit Diebe gemeinsam – das gilt auch für die Inszenierung.

In Verzweiflung, Schuld und Schmerz verwickelte Figuren, die desto stärker in den Abwärtsstrudel hineingeraten, je mehr sie dagegen ankämpfen:  Mit dieser Konstellation geriet Das letzte Feuer zur bleischweren Verzweiflungsorgie, die keine Nuancen zu ließ und gerade durch diese Dominanz von Schmerz und Trauer den Zuschauer zur Distanzierung zwang und seltsam kalt ließ. Am Schwarzen See erweist sich darin als nahe Verwandte. Die Geschichte ist schnell erzählt: Zwei Paare treffen sich erstmal seit vier Jahren wieder – seit dem Tag, an dem ihre jugendlichen Kinder gemeinsam Selbstmord begehen. Sie beschwören die Vergangenheit herauf, schwelgen in Erinnerungen an glücklichere Zeiten, versuchen die Herrschaft über die Erinnerung an ihre Kinder wiederzuerlangen und stellen die Frage nach dem Warum, aber auch jene nach der Schuld, danach, was man noch hätte tun können.

Die Ton wird in dem leeren, heruntergekommenen, mit einem zubetonierten Fenster hermetisch abgeriegelten Raum, gleich festgelegt. Bernd Moss, der Vater des toten 15-Jährigen, ergeht sich in zwanghaften stummen Waschritualen, die sich anfallartig in ihrer Intensität bis zum Kontrollverlust steigern. Immer wieder werden die Figuren konvulsiv geschüttelt, rennen sie gegen Wände, nesteln sie an ihrer Kleidung, bricht sich der Schwerz, die Ohnmacht, die Unfähigkeit, sich aus dem Trauma zu befreien, körperlich Bahn,ein wortloser Ausdruck der Ausweglosigkeit der Figuren, die sich auf der zuweilen kaum merklich, aber unaufhörlich rotierenden Drehbühne im Kreis bewegen, um ein unsichtbares Zentrum herum, dem sie nicht näher kommen.

Hilflos resigniert kommt der verschlossene Eddie von Bernd Moss daher, agressiv-trotzig die Cleo Natalie Selig, fragend-ratlos Jörg Poses vermeintlich souveräner Johnny. Einzig Katharina Marie Schubert als labil-furienhafteElse versuch die Starre aufzubrechen, fragt wütend-verzweifelt nach Antworten, nach Erklärungen, prügelt auf die anderen ein in der Hoffnung, ihre Schale durchbrechen zu können, streitet sich gar mit Cleo darüber, wie der tote Fritz eigentlich gewesen sei. Ein gemeinsames Bild entsteht nicht, der Versuch, die toten Kinder irgendwie festzuhalten und zumindest in so etwas wie kollektiver Erinnerung zu bewahren, scheitert. Sie haben sich entzogen, eine Leere hinterlassen, die sich nicht füllen lässt. Immer öfter arbeitet der Text mit Wiederholungen, werden die Fragen zur Obsession, zur Grundbedingung des Weiterleben-Könnens und zugleich zur Illusion, denn egal, wie oft eine Frage gestellt wird – Antworten gibt es nicht. Es sind diese Momente, in denen Schuberts Else an der Fassade kratzt, die etwas von diesem rohen Schmerz offen legen und sichtbar machen, der nicht zuletzt darin fußt, dass sich der andere nie wirklich verstehen lässt, dass selbst das eigene Kind fremd bleibt und die Hoffnung darauf, dies ändern zu können, mit seinem Tod gestorben ist.

Es bleiben leider zu wenige an diesem Abend, der den Text Lohers zu sehr übermalt, der zu sehr auf Effekte setzt und damit seine Essenz abdeckt. Zu plakativ-übertrieben das Spiel der vier Darsteller, zu penetrant die auf die Tränendrüsen drückende Musikberesielung, zu hektisch und keine Intimität zulassend die Gestik. Kriegenburg bedient sich reichlich aus dem Fundus der Verzweiflungsmaschinerie und mach gerade dadurch die wahre Verzweiflung der Figuren, die große Frage, wie sich mit dem Tod weiterleben lässt, weitgehend unsichtbar.Die Schwere, die Das letzte Feuer in die Knie zwang und in Eintönigkeit erstickte, ist auch hier nur zu präsent. Wo Schwerz,Verlust, Hilflosigkeit sicht- und spürbar werden sollten, bekommt der Zuschauer oftmals nur Illustration, die Darstellungsmittel von Verzweiflung und Schmerz, die Mechanik der Produktion von Berührung zu sehen. Das ist eigentlich schade, denn der Text selbst geht so sehr an die Substanz, dass man sich einen Regisseur wünschen würde, der dem Publikum dies auch zumutet.

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